Nicht maximaler, sondern sicherer Ertrag zählt
Was haben die Quedlinburger frühe Liebe, der alte Kommunist und die gelbe Dattelwein gemeinsam? Es sind drei von knapp 30 samenfesten Tomatensorten, die die rund 25-köpfige Oikocredit-Besuchergruppe verkostet hat. Der Förderkreis hatte seine Mitglieder zu einer Exkursion in den Stuttgarter Speckgürtel eingeladen, um praktische Lösungsansätze für eine nachhaltige Landwirtschaft von engagierten Menschen kennenzulernen.
Von Ulrike Pfab, ehrenamtliches Förderkreismitglied
„Der Mist, nicht die Milch, ist das Wertvolle an unseren Kühen“, erläutert Lukas Dreyer. „Unsere zehn Kühe liefern den Dung für die rund 20 Hektar Felder, die unser Reyerhof bewirtschaftet“, so der Betriebsleiter. Zu den strengen Demeter-Grundsätzen gehören das Maßhalten und die Kreislaufwirtschaft. Der Dünger, der auf den Feldern ausgebracht wird, muss selbst erzeugt werden. Da der Hof mitten im Stuttgarter Stadtteil Möhringen keinen Platz für mehr Rinder hat, hat auch die Anbaufläche eine natürliche Begrenzung.
Neben dem zur Straße offenen Stall und einem Hofladen hat der Reyerhof noch mehr Unkonventionelles zu bieten. Aktuell bilden über 600 Menschen mit dem Hof eine Art Risikogemeinschaft. Sie sind Teil der Solidarischen Landwirtschaft Stuttgart, kurz SoLaWi, die mit dem Reyerhof kooperiert. Wie immer, wenn nicht Gewinnmaximierung das höchste Ziel ist, können andere Werte in den Mittelpunkt rücken. Ein Prinzip, das auch vielen Oikocredit-Anleger*innen ein großes Anliegen ist. So geht es den Mitgliedern der Solawi um Umweltverträglichkeit, Tierwohl, gute Produkte, faire Löhne und regionales Wirtschaften. Anders als üblich, gibt es in der Gemeinschaft zum Beispiel keine festen Preise, die für ein Kilo Kartoffeln, eine Gurke oder ein Brot fällig werden. Stattdessen werden Kosten für den angestrebten landwirtschaftlichen Ertrag für ein Geschäftsjahr geschätzt und dann in einem sogenannten Bieterverfahren durch die Gemeinschaft getragen. „Dabei gilt auch unter den Mitgliedern ein Solidaritätsprinzip. Je nach den finanziellen Möglichkeiten zahlen manche Mitglieder um die 100 Euro pro Monat, wer gerade im Studium steckt und auf jeden Euro schauen muss, vielleicht nur 40 Euro“, erklärt Felix Eiffler, der bei der Solawi Stuttgart einen Minijob hat. Die Mitglieder zahlen für den gleichen Ernteanteil also unterschiedliche Beträge - eine Art Quersubventionierung, um auch weniger finanzstarken Mitglieder eine Teilhabe an der nachhaltigen Landwirtschaftsform zu ermöglichen.
Nach dem gemütlichen Start im Innenhof des Reyerhofs mit Kaffee und Kuchen war der mobile Hühnerstall die nächste Station. Neben den gepachteten Streuobstwiesen, auf dem das Jungvieh weidet, werden rund 280 Hühner einer Zweinutzungsrasse gehalten. Auch hier geht es nicht um den maximalen Ertrag. Die Legeleistung dieser Rasse ist etwa ein Drittel niedriger als bei konventionellen Rassen. Dafür setzen auch die männlichen Küken einigermaßen Fleisch an, wenn auch nicht so viel wie bei Rassen, die ausschließlich zum Schlachten gezüchtet werden. Ein ethischer Kompromiss, der seinen Preis hat. Im Laufe des Vormittags wird immer wieder klar, wie häufig Zielkonflikte austariert werden müssen. Drei Beispiele: „Die Hennen werden vor allem mit Getreide gefüttert – Getreide, aus dem wir auch Brot herstellen könnten“, gibt Lukas zu bedenken. Dann möchte die Gemeinschaft das Mehl vom eigenen Getreide weiterverarbeiten. Es gibt aber kaum Mühlen, die auch kleinere Mengen getrennt mahlen. Einige Oikocredit-Förderkreis-Mitglieder erinnerte dies an die Problematik des Mengenausgleichs im Fairen Handel. Oder auch das Thema „faire Löhne“, die in der Landwirtschaft alles andere als üblich sind. Die transparente Kostenkalkulation zeigte aber den Solawi-Mitgliedern, wie schlecht „ihre“ Beschäftigten bezahlt wurden. Die Solawi-Gemeinschaft hatte sich daraufhin für höhere Löhne ausgesprochen – auch wenn es für sie höhere Beiträge zur Konsequenz hatte.
Weiter ging es zu den Vielfaltsgärtnern auf den Fildern, mit denen Bildungsreferent Marc Ehrmann persönlich bekannt ist. Unweit vom Stall, zwischen Stadtbahn, Freibad und Autobahn wurde das vegetarische Mittagessen zubereitet, Gemüse gegrillt, vom leckeren Salatbüffet geschöpft. Selbst für einen süßen Abschluss war gesorgt: Bildungsreferentin Bettina Heß hatte Erdnuss-Schoko-Kekse aus dem Oikocredit-Rezeptbuch gebacken.
Der restliche Nachmittag stand ganz im Zeichen der Tomate. Die Vielfaltsgärtnerin Mechthild Hubl hat sich seit vielen Jahren dem Erhalt samenfesten Saatguts verschrieben, um alte Gemüsesorten zu bewahren. Rund 30 Tomaten lagen zur Verkostung bereit: von kleinen Mini-Cocktail-Tomaten bis zu wuchtigen Tomaten, die mehr als ein Pfund auf die Waage brachten. „In der normalen Landwirtschaft ist Hybridsaatgut die Regel“, so die Samenretterin. „Unter optimalen Bedingungen liefern sie üppigen Ertrag, in Ländern des Globalen Südens kann es bei ungünstigen klimatischen Bedingungen auch richtig in die Hose gehen. Wichtig ist für uns Menschen doch nicht der maximale, sondern sicherer Ertrag“. Was noch mehr schockierte: Die Herstellung von Hybrid-Saatgut erfolgt mit viel Handarbeit, mit Pinzette und händischer Bestäubung – bevorzugt in Ländern des globalen Südens. Ausbeutung ist auch hier das herrschende Wirtschaftsprinzip, von Solidarität keine Spur. Dabei ist es genau das, wovon unsere Gesellschaft mehr braucht. Nicht mehr Konsum, nicht mehr Besitz, nicht mehr Mobilität – sondern ein bewussteres und respektvolles Miteinander, um diesen Planeten auch für zukünftige Generationen zu bewahren. Dafür lieferte dieser Tag viele wertvolle Denkanstöße.