Schuldenerlass für Staaten in Not
Alberto Acosta ist ein renommierter ecuadorianischer Wirtschaftswissenschaftler.
Die Corona-Pandemie hat Ecuador besonders schwer getroffen. Das Gesundheitswesen ist überfordert, die Wirtschaft eingebrochen, der Staat überschuldet. Was die Corona- und Schuldenkrise für das Land bedeutet, was sich von Deutschland aus dagegen tun lässt und was all dies für soziale Investor*innen wie von Oikocredit heißt, hat Ecuadors Ex-Minister Alberto Acosta mit rund 90 Teilnehmer*innen online diskutiert.
Alberto Acosta ist Professor und einer der führenden Intellektuellen Ecuadors.* Seine Einschätzung zur aktuellen Wirtschaftssituation seines Heimatlandes: „Das ist die schlimmste Situation Ecuadors seit der Depression in den 1930er Jahren“. Zwar habe sein Land 2010 einen Schuldenschnitt von der internationalen Gläubigergemeinschaft erhalten, seitdem habe sich die Lage – auch bedingt durch sinkende Rohstoffpreise - wieder verschärft. Seit 2015 werde die Wirtschaft des Landes durch die Aufnahme neuer Kredite „künstlich beatmet“. Derzeit ächzt das Land unter einer immensen Schuldenlast von über 17 Mrd. USD. Zudem hat Corona Ecuador ungleich härter als die Nachbarländer getroffen. Nirgendwo in Südamerika und der Karibik sind – gemessen an der Gesamtbevölkerung – so viele Todesopfer zu beklagen wie in Ecuador.
Die Falle der Auslandsverschuldung
In der aktuellen Coronakrise wird der staatliche Schuldendienst zur Falle: Statt in das kaputt gesparte Gesundheitssystem und Übergangshilfen für die Bevölkerung zu investieren, habe Ecuador seit Ausbruch der Krise Schulden in Höhe von knapp 4 Mrd. US zurückgezahlt. Das ließ die Arbeitslosigkeit im letzten Monat auf über 20% ansteigen und trieb insbesondere die Armut der ländlichen Bevölkerung in die Höhe.
Überschuldung gab es schon vor Covid-19
Dabei ist Ecuador kein Einzelfall. Insgesamt befinden sich derzeit rund 124 Entwicklungs- und Schwellenländern in kritischen Schuldendienstsituationen, so Co-Referentin Kristina Rehbein vom Bündnis Erlassjahr.de. Länder wie Argentinien und Sambia seien längst pleite. „Die Probleme gab es aber schon lange vorher, die Pandemie wirkt hier wie ein Brandbeschleuniger - weil wichtige Devisenbringer wie der Tourismus, der globale Handel und die Rücküberweisungen von Arbeitsmigrant*innen fast komplett wegfallen“.
Insolvenzverfahren für Staaten
Um den hoch verschuldeten Staaten und deren Bevölkerung wieder eine Perspektive zu geben, fordern die Bündnispartner von erlassjahr.de – auch der Oikocredit Förderkreis Baden-Württemberg ist Teil davon - einen Schuldenerlass. Es brauche ein Insolvenzverfahren, das die geordnete Entschuldung von Staaten organisiert und dabei die Gläubiger, also Institutionen wie die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds (IWF), Entwicklungsbanken und Staaten und große private Investoren wie Geierfonds gleichermaßen in die Pflicht nimmt. „Mit privaten Investoren meinen wir nicht Kreditgeber oder Investoren wie Oikocredit, die privatwirtschaftliche Unternehmen finanzieren – denn private Insolvenzverfahren gibt es ja schon“, erläuterte Rehbein auf Rückfrage aus dem Publikum.
Doch die Erfahrung in Ecuador zeige: Ein Schuldenerlass allein löst die Probleme nicht. „Schuldenerlasse ohne eine systemische Veränderung der Finanzbranche sind wirkungslos“, so Acosta. Das aktuelle Finanzsystem fördere Ungleichheiten zwischen den Ländern. Besonders wichtig sei die Transparenz bei der Kreditvergabe, also zu welchen Konditionen Darlehen aufgenommen werden. Vor allem bei Verträgen mit China, die für ihre Kredite häufig Rohstofflieferungen als Schuldendienst vereinbaren, muss die Bevölkerung informiert werden. Zudem forderte er die Abschaffung aller Steuerparadiese, die Einführung der Tobinsteuer und die Gründung eines Schiedsgerichts für gerechte Entschuldungsverfahren. Nur dann hätten Länder wie Ecuador Chancen, die Pandemie zu bekämpfen und die nachhaltigen Entwicklungsziele zu erreichen. Sein Schlusswort: „Es geht nicht darum, Geld zu vermehren, sondern das Wohl der Menschen zu vermehren.“
Oikocredit als responsible lender
Gerade dieser letzte Satz beschreibt das 45-jährige Engagement von Oikocredit gut: Die Genossenschaft vergibt Kredite an sozial orientierte Unternehmen. In Ecuador sind derzeit 80 Mio. € in 17 Mikrofinanzpartner und zwei landwirtschaftliche Kooperativen investiert. Dabei unternimmt Oikocredit alles, um als "responsible lender" aufzutreten. Konkret bedeutet das, dass Oikocredit in gemeinsamer Verantwortung mit den Kreditnehmern prüft, ob das Geld in betriebswirtschaftlich sinnvolle Investitionen fließt, damit die Rückzahlung inklusive einer fairen Verzinsung gesichert ist und für die Kreditnehmer eine Verbesserung ihrer Lebenssituation erreicht wird.
* Bekannt ist Alberto Acosta auch, weil er vor 12 Jahren als Umweltminister Ecuadors die Idee lanciert hatte, das Erdöl unter dem Nationalpark Yasuni im Boden zu lassen und dafür einen Schuldenerlass von der internationalen Staatengemeinschaft zu erhalten. Dieser Beitrag zum Schutz von Klima, Biodiversität und indigener Bevölkerung fand keine Umsetzung.