Zuckerbrot, Peitsche und viel Bildung
Nichts Geringeres als eine große Transformation ist nötig, um unsere Gesellschaft sozial-, umwelt- und klimaverträglich aufzustellen. Warum dem Finanzmarkt dabei eine Schlüsselrolle zukommt und welche Veränderungen dort nötig sind, erörterten Branchenkenner Dr. Wolfgang Kessler und Karsten Löffler beim Gutes Geld Tag 2021 in Fellbach.
“Über drei Jahrzehnte hinweg wurden systematisch Begrenzungen für das Kapital abgebaut. Um das System zu stabilisieren, muss der Staat wieder stärker seine Steuerungsfunktion übernehmen: Schattenbanken wie Hedgefonds oder Private-Equity-Firmen müssen eine Mindestliquidität vorhalten, Steueroasen ausgetrocknet, eine Finanztransaktionssteuer eingeführt und Hochfrequenzhandel an den Börsen verboten werden”, so Dr. Wolfgang Kessler bei der Vormittagsdiskussion des Guten Geld Tages 2021. Bereits seit 35 Jahren beschäftigt sich der Journalist und Buchautor mit Finanzmärkten und ihren Verwerfungen.
Ein großes Problem sieht er auch in den gigantischen Finanzfonds wie Blackrock, die ganze Unternehmen verändern. Sie agierten meist anonym, autoritär und seien in der Regel branchenfremd. “In Deutschland sind heute beispielsweise 20% der Krankenhausbetten in der Hand von Finanzspekulanten. Die Suche nach hohen Renditen führt vom Gesundheitssystem, über das Immobiliengeschäft hin zur Landwirtschaft”, erläuterte Kessler. Renditeerwartungen von acht bis zwölf Prozent seien nur durch rigoroses Wachstum möglich - Arbeitsrechte oder Umweltauswirkungen zählten hier nicht viel.
Höherer Sparerfreibetrag für nachhaltige Investments
Doch wie kann unter diesen schwierigen Rahmenbedingungen der nötige gesellschaftliche Wandel gelingen? Dafür muss viel Geld von privaten und staatlichen Investor*innen mobilisiert und umgelenkt werden. Vorbilder werden gebraucht. Ein Blick nach Schleswig-Holstein oder Schweden zeige, dass nachhaltige Anlagepolitik auch für viele Milliarden öffentlicher Gelder funktioniere. Auch über öffentlich garantierte Fonds mit geringer Renditeerwartung könnte privates Kapital hin zu gemeinwohlorientierten Unternehmungen geführt werden. Geldströme könnten zudem durch positive Anreize umgeleitet werden - beispielsweise indem der Sparerfreibetrag für nachhaltige Geldanlagen erhöht würde. Die Krux an der Sache ist allerdings, dass dafür ein verlässliches Siegel für nachhaltige Anlagen notwendig wäre. Und daran arbeitet die EU-Kommission schon seit etlichen Jahren.
“Die Schwierigkeiten bei der Siegelentwicklung liegen im Detail”, weiß Karsten Löffler, der zweite Finanzexperte, den der Oikocredit Förderkreis Baden-Württemberg zu diesem Thema eingeladen hatte: “Die dahinterliegende europäische Taxonomie klassifiziert wirtschaftliche Aktivitäten von Unternehmen, die einen substanziellen Beitrag zu den sechs EU Umweltzielen liefern. Doch was ist umweltverträglich? Umstrittene wirtschaftliche Aktivitäten wie Stromerzeugung aus fossilem Gas und Atomenergie sowie der Agrarsektor wurden ausgeklammert”. Die soziale Nachhaltigkeit befinde sich derzeit in der Konzeptionsphase. Das macht Hoffnung, dass es in geraumer Zeit auch Finanzmarktprodukte mit ganzheitlichem Nachhaltigkeitsanspruch geben wird.
Kontrolle und Bildung
“Größere Transparenz vom Unternehmen über den Finanzmarkt ist ein sehr wichtiges Thema. Denn für einen nachhaltigen Umbau des Finanzwesens ist es notwendig, dass Unternehmen über ihre Transformationsstrategien und ihre Wirkung auf Umwelt und Gesellschaft berichten. Diese Berichte müssen geprüft und bewertet werden. ” Löffler ist einer, der es wissen muss. Er hat nicht nur jahrzehntelang bei einem der weltweit größten Versicherer um mehr Nachhaltigkeit bei Finanzanlagen gerungen, sondern ist als Vorsitzender des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung auch maßgeblich an 31 Empfehlungen beteiligt, die in Deutschland Milliarden Euro in innovative und klimafreundliche Anlagen spülen sollen. Der Beirat, der die Empfehlungen am 25. Februar 2021 der Regierung übergeben hatte, fordert neben mehr Transparenz vor allem auch Politikkohärenz mit den 17 Nachhaltigen Entwicklungszielen und den Zielen des Pariser Klimaabkommens sowie bessere Finanzbildung: “Qualifizierung ist erforderlich, und zwar auf allen Ebenen: Von der Unternehmensleitung über Bankberater*innen bis hin zu Universitäten und Schulen”. Dies entspricht auch der Erfahrung von Dr. Kessler: “Viele Schülerinnen und Schüler wissen nicht einmal, was eine Aktie ist”.
Dem Vorschlag eines anwesenden Oikocredit-Mitglieds, zur Bildung „Finanzfonds-Trielle“ zu veranstalten, erteilte der erfahrene Journalist Kessler eine Absage: Leider sei das Thema für die Gesellschaft und daher auch für die Medien nicht wichtig genug. Traurig genug, angesichts Kesslers Schlusswort: “Man kann mit Geld viel anrichten, man könnte aber mit Geld auch viel ausrichten.”
Entlastung und Vorstandswahl
Während der Mitgliederversammlung des Förderkreises am Nachmittag wurde der Vorstand einstimmig für 2020 entlastet. Mit überwältigender Mehrheit wurde Sarah Gekeler für eine zweite Amtszeit im Vorstand gewählt.
Die Vortragsfolien von Karsten Löffler finden Sie hier. Zudem steht Ihnen das Redeskript von Dr. Kessler zum Download zur Verfügung. Wer weiterlesen möchte: Sein neues Buch “Macht Wirtschaft! Ökonomie verstehen - und verändern” ist jüngst bei Publik-Forum erschienen und für 20 Euro erhältlich: „Das Buch erklärt komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge so einfach - es erinnert mich an die Sendung mit der Maus“ (Heribert Prantl im Vorwort)